Anlässlich der heutigen Sachverständigenanhörung zum Entwurf eines Niedersächsischen Abschiebehaftvollzugsgesetzes im Ausschusses für Inneres und Sport des Landtages fordert der Flüchtlingsrat erneut umfassende Nachbesserungen des Gesetzentwurfs und eine grundlegende Änderung der niedersächsischen Vollzugspraxis, da sie den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs offenkundig widerspricht.
Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen
„Das Abschiebungshaftgefängnis in Langenhagen wurde in der Vergangenheit unter anderem als Untersuchungshaftanstalt genutzt. Das Gelände ist von ca. acht Meter hohen Stahlzäunen umschlossen, auf denen Nato-Stacheldraht befestigt ist. Auch auf dem Gelände selbst stehen verschlossene Stahlzäune, die unterschiedliche Bereiche voneinander abgrenzen. Die Fenster im Gebäude sind vergittert. Die Rechte der Gefangenen bestimmen sich nach dem Strafvollzugsgesetz. Sie dürfen sich in der Regel nur auf dem eigenen Stockwerk aufhalten und werden ab dem frühen Abend in ihren Haftzellen eingeschlossen. Der Besitz von Smartphones oder Laptops ist Ihnen verboten. Ihre Besuche werden überwacht. Hinzu kommt, dass suizidale Gefangenen schlicht gefesselt und dadurch ruhig gestellt werden sollen. All dies ist mit den jüngsten Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs nicht vereinbar.“
In seinem Urteil vom 10, März 2022 (Az.: C-519/20) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) unter anderem ausgeführt, welche Voraussetzungen eine Hafteinrichtung erfüllen muss, damit sie als »spezielle Abschiebungshaftanstalt« qualifiziert werden kann – siehe auch unsere Pressemitteilung vom 10. März 2022. Nach Auffassung der Richter:innen am EuGH müsse es soweit wie möglich vermieden werden, dass die Unterbringung einer Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung gleichkomme, wie sie für eine Strafhaft kennzeichnend sei. Zudem weist der EuGH darauf hin, dass der »Umstand, dass die nationalen Regelungen über die Strafvollstreckung (…) auf die Unterbringung von Drittstaatsangehörigen in Abschiebehaft anzuwenden sind, ein gewichtiges Indiz dafür darstellen, dass eine solche Unterbringung nicht in einer speziellen Hafteinrichtung im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie« stattfinde.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat den Entwurf eines niedersächsischen Abschiebungshaftvollzugsgesetzes bereits im Rahmen der Verbandsanhörung ausführlich kommentiert und eingehende Änderungsvorschläge gemacht. Weder die Stellungnahme des Flüchtlingsrats noch die anderer NGOs und Wohlfahrtsverbände hat unter dem Strich Beachtung gefunden – siehe auch unsere Pressemitteilung vom 31. Januar 2022. Der Flüchtlingsrat ist zur heutigen Anhörung im Ausschusses für Inneres und Sport des Landtages zum Entwurf eines Niedersächsischen Abschiebehaftvollzugsgesetzes als Sachverständiger geladen.
(Quelle: Pressemitteilung vom Flüchtlingsrat Niedersachsen vom 17. März 2022)